Geht nicht, gibt’s nicht! – Diana Schütz

Auch auf dem Monoski gibt Diana ein gutes Bild ab.
Auf Inlinern unterwegs mit einem Bein.
Wendeltreppen stellen für Diana kein Hindernis da.

Diana Schütz trägt ihre Prothese im Sommer gerne offen. Und wenn andere Menschen mit Amputationen das auch tun, die sie noch nicht kennt, spricht sie diese direkt an. Denn sie hat ein Herzensprojekt, dass sie ebenso beharrlich wie erfolgreich verfolgt: Sie möchte anderen Amputierten Mut machen, Dinge auszuprobieren, von denen sie bisher glaubten, dass sie für sie nicht mehr möglich sein würden. Die Wortkombination „geht nicht“ hat sie komplett aus ihrem Repertoire gestrichen. Jedenfalls dann, wenn es sich um sportliche Aktivitäten handelt.
Die lebensbejahende Frau mit den blauen Augen wurde im Jahr 1972 im beschaulichen Wernigerode im Harz geboren. Damals gehörte dieses pittoreske Städtchen noch zur DDR. Im Alter von acht Jahren stürzt sie mit dem Fahrrad, das tat zwar weh – aber dieser kleine Unfall rettet ihr das Leben. Denn die Schmerzen im Knie stehen in keinem Verhältnis zu der eher harmlosen Verletzung. Da Diana kein wehleidiges Kind ist, werden weitere Untersuchungen vorgenommen. Die Diagnose ist niederschmetternd: Ein Tumor in jenem Knie ist die Ursache. Wenige Wochen nach dem Sturz wird das rechte Bein amputiert.
Zwei Jahre Chemotherapie folgen. Während das Kind gegen den Krebs kämpft, kämpft die Mutter gegen die Behörden, die Diana in einem Heim unterbringen wollen. Beide gewinnen ihren Kampf: Diana besiegt den Krebs, ihre Mutter setzt durch, dass sie zu Hause bleiben kann. So schafft sie trotz alledem den Schulabschluss im gewohnten Klassenverband. Der Sportunterricht wird allerdings vom Stundenplan gestrichen.
Diana macht eine Ausbildung zur Bekleidungsfacharbeiterin. Dies ist ein Beruf, der offenbar Menschen mit einer Gehbehinderung zugetraut und zugemutet werden kann. Ihr Traumberuf ist es nicht. Dann fällt die Mauer. Diana entschließt sich, eine Ausbildung zur Umwelttechnischen Assistentin zu machen. Sie schließt auch diese Ausbildung erfolgreich ab. Doch einen Arbeitsplatz bekommt sie trotzdem nicht. Mit der Begründung, dass man sich einen Menschen mit Gehbehinderung in dieser Position nicht vorstellen kann. Eine dritte Berufsausbildung folgt, Diana wird Bürokauffrau. Jetzt arbeitet sie in verschiedenen Unternehmen und Positionen.
Im Jahr 2006 zieht Diana der Liebe wegen von Wernigerode nach Wiesloch und heiratet ihren heutigen Ehemann.  Um sich beweglich und gesund zu halten treibt sie regelmäßig Fitness-Sport. Irgendwann traut sie sich auf eine Skipiste – und entdeckt diesen Sport für sich. Endlich wieder Sport in der Gruppe, das treibt Diana an, mehr auszuprobieren. Sie fährt Fahrrad – nachdem sie endlich das passende Rad für sich gefunden hat. Sie rollt auf Inline-Skates durch die Gegend. Endlich wieder Geschwindigkeit und Wind in den Haaren. Sie wagt sich an Kletterwände und kommt über Nordic-Walking zum Laufen. Nach 25 Jahren erstaunt das selbst ihren Orthopädietechniker, der schon vieles gesehen und erlebt hat. Er hat es nicht für möglich gehalten, dass jemand nach dieser langen Zeit und mit einer so hohen Amputation dazu in der Lage ist.
Durch Dianas Kopf kreisen immer wieder die gleichen Fragen: Warum hat es diese positiven Erlebnisse und Erfahrungen nicht schon früher gegeben? Wie wäre mein Leben dann verlaufen? Wie wäre es, diese Erfahrungen anderen Betroffenen weiterzugeben? Wie funktioniert das mit der Integration?
Die Metropolregion Rhein-Neckar hat vieles zu bieten. Aber keine fundierte Infrastruktur für sportliche Aktivitäten von Amputierten. Meist nehmen sie am Rolli-Sport teil. Doch nicht nur die Paralympischen Spiele zeigen, dass es auch anders geht. Diana hat sich in den Kopf gesetzt, die Voraussetzungen für „Sport für Amputierte“ zu schaffen. Sie stößt bei ihren Recherchen auf Anpfiff ins Leben e.V., einem Verein in Walldorf, mit Förderzentren in der ganzen Region. Unter dem Logo steht Sport/Schule/Beruf/Soziales. Diana spricht den Vereinsvorsitzenden Anton Nagl an. Und trifft auf offene Ohren und Türen. Sie darf ihr Projekt vorstellen. Tatkräftige Unterstützung  bekommt sie von Stefanie Wild, die für die Bereiche Sport/Schule/Beruf/Soziales bei „Anpfiff“ zuständig ist.
Diana organisiert ein Laufevent, bei dem die Teilnehmerinnen und Teilnehmer Lauffedern testen können. Es wird ein großer Erfolg. Und außerdem ein sehr bewegendes und emotionales Ereignis für die Sportler und auch für die Zuschauer. Das ist ein Anfang. Er macht Mut.
Das überzeugt: Diana wird bei „Anpfiff ins Leben“ eingestellt und nutzt ihre Kontakte und Ideen, um anderen Amputierten den Weg in ein bewegtes Leben zu erleichtern. Mittlerweile steht „Sport für Amputierte“ auf festen Beinen. Dianas unermüdlicher Einsatz zeigt Erfolge. Mit der Hilfe von  örtlichen Technikern, den Mitgliedern der Selbsthilfegruppe und Dianas Einsatz als Mentorin im Programm „Patienten helfen Patienten“ in der Onkologie in Heidelberg lassen die Gruppe wachsen. Das Projekt „Sport für Amputierte“ holt die betroffenen Menschen dort ab, wo sie gerade sind.
Der Erfolg gibt ihr Recht. Ein knappes Jahr gibt es „Sport für Amputierte“ jetzt. Angeboten werden Mannschaftssportarten, Einzelsportarten und Freizeitsport. Fast überall ist Diana dabei, alles probiert sie aus. Alle, die hinzukommen, werden sanft dabei begleitet, die richtige Sportart, den richtigen Rhythmus für sich zu finden. Im Mai 2014 findet in Leipzig die OTWorld statt, die große Messe der Orthopädie Technik. Hier zeigt sich, dass es bundesweit kein vergleichbares Angebot dieser Art gibt. Zum zweiten Laufevent zwei Wochen später in Walldorf reisen Amputierte von weither an: Berlin, Leipzig – eine solche Möglichkeit gibt es einfach viel zu selten. Viele Amputierte nutzen die Chance, in dieser lockeren Atmosphäre Lauffedern von verschiedenen Herstellern auszuprobieren. Die Vorbereitung war anstrengend, der Tag auch, aber am Ende sitzt Diana – euphorisch und zufrieden wie auch alle anderen Teilnehmerinnen und Teilnehmer - an einer Biergarnitur und lacht und redet. Denn auch der Austausch der Betroffenen untereinander ist so wichtig und überaus hilfreich.
Auf die Frage, was sie sich wünschen würde, wenn sie Wünsche frei hätte, antwortet Diana: „Ich wüsste gerne wie es sich anfühlt, zwei Beine zu haben.“ Und nach kurzem Nachdenken: „Und ich möchte Laufen können bis an meine körperlichen Grenzen, ohne mir darüber Gedanken machen zu müssen, ob meine Prothese, wenn ich zu sehr schwitze, wegfliegt.“
Diana kämpft weiter. Für sich, für andere Menschen, in deren Lage sie sich hineinversetzen kann. Immer neue Sportarten, besonders auch im Freizeitbereich, erweitern das Projekt „Sport für Amputierte“. Sie ist unermüdlich, wenn es um ihre Sache, ihre Amputierten geht. Es braucht immer erst einmal einen geschützten Rahmen, wenn nach der Anpassung der Prothese wieder Sport gemacht wird. Aber Diana hat eine Vision: Sind die ersten spür- und messbaren Erfolge da, das Selbstbewusstsein wieder aufgebaut – dann, so denkt sie, sind die Wege geebnet, in „normalen“ Sportvereinen mit Menschen ohne Handicap gemeinsam zu trainieren.
Der Name Diana bedeutet „Licht“. Diana trägt ein Licht für andere Menschen, in deren Lage sie sich so gut hineinversetzen kann. Sie sagt in einem Film auf der Homepage von „Anpfiff ins Leben“: „Ich möchte anderen Amputierten zeigen, was sie so machen können. Ich habe vieles alleine ausprobieren müssen, und das hat lange gedauert. Das möchte ich den anderen ersparen.“ Sie ist dabei im Gegensatz zu sonst sehr ernst. Weil es ihr so ernst ist mit diesem Projekt, das Amputierten sichtbar Freude ins Leben bringt.

Aufgezeichnet im August 2014
Stephanie Riechwald
„Sport für Amputierte“
Anpfiff ins Leben e.V.