Schön - Behindert - Dankbar

Schwarz-weiß Foto von Hülya Durmaz
Hülya weiß was sie will
Hülya ist schön und dankbar
Schön und dankbar

Hülyas strahlendes Lächeln bezaubert ihr Gegenüber sofort. Sie ist eine sehr lebendige und  sympathische Frau Anfang 30. Erst seit kurzer Zeit wohnt sie in einer kleinen Stadt im Stuttgarter Raum. „Am Ende der Welt“, wie sie lachend feststellt. Gekommen ist sie der Liebe wegen.

Hülya wird im Mai 1983 geboren. Ihre Beine und Hände sind fehlgebildet. Das liegt in der Familie, auch Hülyas Vater hat Fehlbildungen an den Beinen. Operationen werden erforderlich, das Kind liegt so oft im Krankenhaus, dass es zur Krankenschwester Mama sagt. Laufen kann sie nur mit Beinschienen. Die Entscheidung, ob sie auch ihre Hände operieren lassen möchte, haben die Eltern Hülya überlassen. Sie lehnt jeden Eingriff daran energisch ab. Mit ihren Händen kommt sie prima zurecht.

Sie besucht als Kind zunächst einen ganz „normalen“ Kindergarten und auch eine Grundschule. Die weiterbildende Schule wird die Realschule für Körperbehinderte des Berufsbildungswerks.
Hülyas schönsten Kindheits-Erinnerungen sind die Reisen mit den beiden jüngeren Schwestern Mehtap und Sema in die türkische Heimat ihrer Eltern. Das Licht, die Luft, die Verwandten – der Abschied fällt jedes Jahr schwer. Als sie zwölf Jahre alt ist, will sie nicht mit zurück nach Deutschland fahren. Sie bleibt bei der Oma, und ihre Schwester Mehtap tut es ihr gleich. Die Schwestern kommen auf ein privates religiöses Mädcheninternat in Ankara. Streng geht es dort zu. Und doch fühlen sich die Schwestern wohl.

Ab der zehnten Klasse ist Hülya wieder in Deutschland. Die Eltern trennen sich, und die Jugendliche geht zum Vater, der viel arbeitet. Sie langweilt sich zu Hause und wünscht sich nichts sehnlicher, als auf ein Internat zu gehen. Der Vater stimmt zu, und so geht Hülya auf das Internat des Berufsbildungswerks Volmarstein im nordrhein-westfälischen Ennepe-Ruhr-Kreis. Hülya stellt rückblickend fest: „Das ist meine allerbeste Erfahrung.“

Immer wieder muss sie sich Operationen unterziehen. Die Beinschienen haben Wunden hinterlassen, die einfach nicht heilen. Als Hülya achtzehn Jahre alt ist, trifft sie deswegen die Entscheidung, ihre Beine amputieren zu lassen und fortan mit Prothesen zu leben. Ihre positive Ausstrahlung, ihre spürbare Lebensfreude behält sie. Hülya ist vielseitig begabt. Sie liebt es, Sport zu treiben. Neben Fitness – und den täglichen Liegestützen zu Hause – spielt sie Rollstuhlbasketball, Tischtennis und geht Schwimmen. Sie tritt gerne im Theater auf und  hat schon in Musicals mitgewirkt. Auch in der Disco hilft sie aus. Sie liebt es, immer unter Menschen und mittendrin zu sein.

Hülya geht ihren Weg mit zwei Beinprothesen
Hülya geht ihren Weg
Hülya sitzt im Rollstuhl
Schön und behindert

Nach dem Schulabschluss und verschiedenen Praktika in der Stiftung des Berufsbildungswerks bekommt sie dort eine Stelle angeboten. Zunächst an der Rezeption des  Seniorenheims Dietrich-Bonhoeffer-Haus. Bevor das Angebot kam, hat sie sich unter anderem auch bei einem Modegeschäft beworben. Sie hätte dort zu einem Vorstellungsgespräch kommen können. Doch ihre Dankbarkeit und Loyalität der Stiftung gegenüber führen dazu, dass sie die Stelle im Seniorenheim annimmt.

Mit ihrer Arbeit läuft es gut. Immer mehr Aufgaben übernimmt die junge Frau, sowohl in der Verwaltung, wie auch in Form von Beratungsgesprächen innerhalb des Seniorenheims. Hülya liebt ihre Heimatstadt Hagen, hat dort Freunde und Familie, eine gute Arbeit. Kein Grund also, Hagen zu verlassen.
Rückblickend sagt Hülya: „Ich bin meinem Großvater so dankbar, dass er nach Deutschland gegangen ist, damit es seiner Familie besser geht. Und dass er sie nachgeholt hat. In der Türkei hätte ich niemals die Chancen und Möglichkeiten mit der Dysmelie gehabt, wie hier in Deutschland.“

Im Jahr 2004 nimmt Hülya an dem ersten Modelwettbewerb für Menschen mit Behinderung teil, den „Beauty in Motion“. Sie gewinnt ihn, und das erstaunt niemanden, der sie kennt. Hülya sagt: „Ich war also sowas wie Miss Rolli Deutschland.“ Fernsehen und Zeitungen berichten darüber.

Dann lernt sie Dennis kennen. Über Facebook. Er schreibt Hülya ebenso hartnäckig wie respektvoll an. Sie ignoriert das zunächst, doch Dennis gibt nicht auf. Ihm gefällt, was Hülya postet, ihm gefällt ihr Foto und was sie macht. Es gibt ein paar Telefongespräche. Hülya teilt Dennis mit, was auf den Fotos nicht zu sehen ist: „Es ist alles etwas kompliziert. Ich habe keine Beine.“ Das ist für Dennis kein Grund, von seinem Wunsch abzuweichen, Hülya persönlich kennenzulernen. Sie treffen sich auf halber Strecke zwischen Hagen und Stuttgart. Ganz unromantisch auf einem Parkplatz. Es ist dennoch wahrhaftig Liebe auf den ersten Blick.

Im Februar 2016 verlässt Hülya ihre Heimatstadt und zieht zu Dennis in den Stuttgarter Raum. Der baut eine Rampe an das Haus in dem sie gemeinsam wohnen werden, auch ein Treppenlift wird installiert. Dennis trägt Hülya auf Händen und auch seine Familie nimmt sie mit offenen Armen auf.

Hülya sucht Anschluss und will wieder Sport machen. Sie surft im Internet – und stößt dabei immer wieder auf die Angebote von „Anpfiff ins Leben“. Das ist ihr zu weit weg, sie fährt nicht gerne länger Auto, schon gar nicht im Dunkeln. Als es wieder einen Schnuppertag in Hoffenheim gibt, reist das Paar an. Sofort macht Hülya bei Zumba Gold mit, mit leuchtenden Augen und tollem Schwung. Sie schaut auf die Angebote von „Bewegungsförderung für Amputierte“ und sagt: „Gerne würde ich an den anderen Sportangeboten teilnehmen, aber die Fahrzeiten sind zu lang.“ Dennis ist eigentlich kein Tänzer, doch beim nächsten Tanzkurs in Walldorf sind sie mit dabei. Auch Dennis hat es sehr gut gefallen, und er kann sich vorstellen, mit seiner Hülya weiterhin daran teilzunehmen. Auch wenn sie es nicht zu jedem der angebotenen Termine schaffen werden.

Zurzeit ist Hülya auf Stellensuche. Etwas mit Kontakt zu Menschen soll es werden. „Ich will keinesfalls in einem Büro sitzen.“ stellt sie entschieden fest. Es wäre auch schade, denn die positive Ausstrahlung und ihr gewinnendes Wesen sollten viele Menschen kennen lernen. Auf die Frage, was sie gerne wieder machen würde, kommt die Antwort prompt: „Ich möchte wieder eine Theatergruppe finden, in der ich spielen kann.“

Stephanie Riechwald, Februar 2017